Mieter müssen Lärm von Kindern dulden

Die Welt – 29.04.15
Norbert Schwaldt

Kinderlärm berechtigt nicht zur Mietminderung. Das hat 07der Bundesgerichtshof entschieden. Er pocht auf das Toleranzgebot: Geräusche vom Bolzplatz vor der eigenen Terrasse sind kein Mangel.

Kinderlärm ist kein Schaden und kein Grund zur Mietminderung. Dies gilt besonders seit einer Gesetzesänderung von 2011. Klagen geräuschempfindlicher Mieter gegen Spielplätze oder Kitas in der Nachbarschaft waren deshalb bislang grundsätzlich erfolglos. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat nun über einen Fall entschieden, der bundesweit unzählige Vermieter befriedigen dürfte und die bisherige Rechtsprechung bekräftigt hat. Das Urteil: Ein Bolzplatz ist kein Grund zur Mietminderung. (Az: BGH VIII ZR 197/14).

In dem Fall ging es um die Frage, ob Vermieter eine Mietminderung von 20 Prozent hinnehmen müssen, wenn auf dem Bolzplatz einer Schule in der Nachbarschaft auch nach 18 Uhr noch gespielt und gelärmt wird. Die beklagten Mieter wohnten seit 1993 in einer Erdgeschosswohnung mit Terrasse in Hamburg. Sie kürzten die Miete wegen Lärmbelästigung, nachdem später – im Jahr 2010 – nur 20 Meter von ihrer Terrasse entfernt ein Bolzplatz auf dem Gelände der benachbarten Schule errichtet worden war. Dort sollten Kinder zwar lediglich von Montag bis Freitag bis 18 Uhr kicken dürfen. Den Mietern zufolge wurde dort aber auch später am Abend sowie am Wochenende Fußball gespielt.

Laut einer Vielzahl von Urteilen bis hin zum BGH müssen Nachbarn den Lärm von Kindern jedoch grundsätzlich ertragen. Dieses Toleranzgebot, das 2011 in das Bundesimmissionsschutzgesetz (BImSchG) geschrieben wurde, soll ein „klares Signal für eine kinderfreundliche Gesellschaft“ sein. Geräusche spielender Kinder seien „Ausdruck der kindlichen Entwicklung und Entfaltung“ und daher grundsätzlich zumutbar. Demnach müssen Mieter Gerichten zufolge Babygeschrei aus der Nachbarwohnung ebenso hinnehmen wie den Lärm von einer Kita, einem Kinderspielplatz oder vom Pausenhof einer Grundschule.

BGH verweist Fall an Landgericht zurück

Im Hamburger Fall müssen die Mieter nach Auffassung des Landgerichts, zwar den Lärm vom Bolzplatz während der Schulzeit ertragen, nicht jedoch nach 18 Uhr oder an Wochenenden. Ihre Mietminderung sei deshalb gerechtfertigt. Dies gelte selbst dann, wenn der Vermieter gegen die Schule keinen Rechtsanspruch auf Lärmminderung haben sollte. Solch ein Risiko gehe allein auf Kosten der Vermieter, betonten die Richter der Vorinstanz.

Das sah der Bundesgerichtshof jedoch anders, der den Fall an das Landgericht zurückverwies. Unter anderem müsse geklärt werden, ob es sich um Jugendliche oder Kinder handle, die nach 18 Uhr vor der betroffenen Wohnung lärmten. Dies hatte das Landgericht nicht untersucht. Die BGH-Richter verwiesen auch darauf, dass der Vermieter mit Blick auf das Toleranzgebot gegenüber Kindern keine Handhabe hätte, gegen Lärm vorzugehen.

Auch „neu aufgetretene Lärmbelästigungen“ seien kein Mangel einer Mietwohnung. Dem BGH zufolge reicht das Toleranzgebot gegenüber Kindern so weit, dass die Hamburger Mieter sich nicht darauf berufen können, dass die Regelung erst nach Abschluss ihres Mietvertrags in Kraft getreten und deshalb auf ihre Situation nicht anwendbar sei.

Kinderhilfswerk begrüßt Urteil

Der Deutsche Mieterbund bezeichnete das Urteil als „sehr problematisch, weil hier das Mietminderungsrecht ausgehebelt wird“. Die Entscheidung der Obersten Richter sei ein „Bruch mit der bisherigen Rechtsprechung“, sagte Sprecher Ulrich Ropertz.

Der Eigentümerverband Haus & Grund begrüßte die Entscheidung. Sie entspreche dem „üblichen Gerechtigkeitsempfinden“, erklärte Hauptgeschäftsführer Kai Warnecke. „Der Vermieter hatte keine Chance, den vermeintlichen Mangel abzustellen, und hätte trotzdem dafür geradestehen müssen.“ Es sei aber Aufgabe der Behörden, dafür zu sorgen, dass die Regeln zur Nutzung von Spielplätzen eingehalten würden.

Das Deutsche Kinderhilfswerk bewertete die Entscheidung ebenfalls positiv. „Ansonsten wären hier Klagen gegen Vermieter in Bezug auf Lärm von Kinderspielplätzen Tür und Tor geöffnet“, erklärte Bundesgeschäftsführer Holger Hofmann. Das Kinderhilfswerk bemängelte jedoch, dass vor dem zuständigen Landgericht nun noch einmal Lärmbelästigungen durch Jugendliche und junge Erwachsene Thema seien. Ein Urteil, das Jugendlärm als „nicht sozialadäquat“ einstufe, könnte eine „fatale Signalwirkung“ haben.

Spielplätze gehören zum Wohnen

Kinderlärm in der Nachbarschaft ist immer wieder ein Thema vor deutschen Gerichten. Und Bolzplätze erregen oft die Gemüter. Fußballspielen ist eben die Leidenschaft vieler Jugendlicher. Nicht immer wählen sie für ihr Hobby sozialverträgliche Orte. So war es auch in einer Gemeinde in Rheinland-Pfalz. In einer Nebenstraße, an einem Wendehammer, nutzten die Nachwuchsfußballer einen Trafokasten als Zielobjekt. Ständig zielten sie darauf.

Das taten sie auch, nachdem Schilder mit den Aufschrift „Ballspielen nicht erlaubt“ und „Kein Bolzplatz“ angebracht worden waren. Ein Nachbar, dessen Grundstück nur 19 Meter entfernt war, wurde fortwährend gestört. Nach Ansicht des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz (Az.: 7 A 10789/07.OVG), das der Betroffene angerufen hatte, musste die zuständige Verbandsgemeinde in diesem Fall allerdings gegen das unerlaubte Fußballspielen einschreiten.

Doch Spielplätze gehören eben zum Wohnen. Lärm, den diese Einrichtungen mit sich bringen, muss akzeptiert werden, so vor Jahren schon das Oberverwaltungsgericht Münster (Az.: 11 A 1288/95). Lärm, der von einem angrenzenden Außenspielplatz eines Kindergartens ausgeht, müssen Anwohner auch dulden. Die Geräusche spielender Kinder seien „Ausdruck von kindlicher Entfaltung und Entwicklung“ und deshalb keine „schädliche Umwelteinwirkung, sondern grundsätzlich zumutbar“, urteilte das Landgericht Braunschweig (Az.: 2 O 1307/09).

Lautere Ermahnungen der Eltern sind hinzunehmen

Kinderlärm rechtfertigt auch keine (fristlose) Kündigung wegen Störung des Hausfriedens. Vermieter und Mitmieter müssen Lärmbeeinträchtigungen tolerieren, soweit sie sich als Folge typischen, altersbedingten Verhaltens darstellen, entschied das Landgericht Bad Kreuznach (Az.: 1 S 21/01). Ausnahme seien lediglich sensible Wohnbereiche, also beispielsweise ein Krankenhaus oder eine Pflegeanstalt auf dem Nachbargrundstück.

Ein Ehepaar, das in einem Mehrfamilienhaus unterhalb einer neu eingezogenen Familie mit Kindern wohnt, kann auch nicht verlangen, dass die Kinder auf Knopfdruck zu den Ruhezeiten still zu sein haben. Ein Lärmprotokoll, aus dem hervorgeht, dass die Kinder in Ruhezeiten ,,Lärm gemacht haben“, könne nicht dazu führen, dass die Familie zunächst eine Mahnung und später eine Kündigung des Mietvertrags erhalte, so ein Urteil des Amtsgerichts Hamburg-Harburg ( Az.: 641 C 262/09).

Zur vertragsgemäßen Nutzung einer Wohnung gehört auch, dass Kinder entsprechend ihrem Spiel- und Bewegungstrieb spielen und lärmen. Auch lautere Ermahnungen der Eltern sind hinzunehmen, befand das Amtsgericht Oberhausen (Az.: 32 C 608/00 WM 2001, 464).

Doch wie sieht es mit den Geräuschen aus, die von den Spielgeräten der Kinder ausgehen? Grundstücksnachbarn störten sich an einer 30 Meter langen Seilbahn auf einem Kinderspielplatz. Die Betroffenen klagten wegen Lärmbeeinträchtigung auf einen Abbau des Geräts oder auf ein Nutzungsverbot. Das Spielgerät durfte aber bleiben. Es handle sich hier um die völlig übliche Ausstattung eines Kinderspielplatzes. Gesetzlich sei es eindeutig geregelt, „dass von Kinderspielplätzen hervorgerufene Geräuscheinwirkungen im Regelfall keine schädliche Umwelteinwirkung sind“. (Bundesverwaltungsgericht, Az.: 7 B 1.13)

 

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